Falsche Bilder, echter Einfluss – Lil Miquela unter der Lupe

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Halb Brasilianerin, Halb CGI – Wie realistische 3D-Grafiken unsere Herzen und Geldbeutel erobern

Sie dreht Musikvideos, singt und post in gesponsorter Kleidung; gibt Interviews oder testet Lippenstifte. Sie feiert Partys und schlachtet ihre Beziehung für Likes auf Instagram aus. Und – sie ist nicht real. Lil Miquela ist eine virtuelle Influencerin – animiert; aus Pixeln statt aus Fleisch und Blut.

Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019
Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019

Wer ist @lilmiquela?

Trotzdem steht sie „echten“ Influencern in Nichts nach – sie promotet Smartphones von Samsung, Dienste von Spotify und macht auf Brustkrebskampagnen aufmerksam. Funktionieren tut es auch – ihre fast zwei Millionen Fans hören auf sie, vertrauen ihr. Miquela Sousa, wie der selbsternannte Roboter eigentlich heißt, interagiert mit ihren Followern genauso wie andere große Accounts. Und andersherum.

Dass sie so greifbar wirkt, ist kein Wunder, sondern pure Kalkulation und eine Menge Arbeit, denn um sie herum wurde ein ganzes Leben gestaltet, das genuin und nahbar wirkt, in Wirklichkeit jedoch von niemandem gelebt wird. Die junge Miquela ist Halbbrasilianerin, postet regelmäßig Selfies mit Freunden – echt oder ebenfalls animiert – und ihrem Partner Nick (@nickillian), den sie liebevoll „Angel Boi“ getauft hat. Ob jener ein Mensch oder computergeneriert ist, weiß übrigens niemand – außer er oder seine Erschaffer selbst.

Miquela und ihr Partner Nick

Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019
Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019

Real oder Roboter?

Seit 2016 bespielt Miquela Instagram fast täglich und sammelt seither immer weiter Follower. Nicht immer war aber klar, dass sie kein leibhaftiger Mensch ist. Tatsächlich kam die Tatsache erst zwei Jahre später ans Licht. Da fragt man sich, ob es denn nie jemandem aufgefallen ist. Der gelegentliche Kommentar, der ihre Echtheit anzweifelte, tauchte sicherlich zwischendurch auf. Dass sie ein Roboter ist (eine Selbstbezeichnung, die per se eigentlich inkorrekt ist, denn hinter ihr steckt keine künstliche Intelligenz, sondern ein Team kreativer und sehr menschlicher Köpfe) gab sie erst zu, nachdem ein weiteres CGI-Model die Illusion zerplatzen ließ. Bermuda, weniger hochauflösend als die Halbbrasilianerin, weiß und Pro-Trump, hackte angeblich ihren Account, löschte all ihre Fotos und stellte sie als Lügnerin bloß. Was viele schon vermuteten, bewahrheitete sich: Miquela ist eine Kunstfigur – durch und durch.

Computer-Generated Imagery – eine 3D-Grafik, die am Computer erzeugt wird. Filmproduktionen und Videospiele setzen darauf. Heutzutage ist es möglich, fotorealistische Darstellungen zu schaffen, die kaum oder gar nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden sind.

Accountinhaber, meistens auf Instagram oder Youtube, die eine große Followerzahl und Reichweite haben. Diese nutzen sie, um Produkte oder Dienstleistungen zu bewerben, wofür sie von den jeweiligen Firmen entsprechend vergütet werden. Bei angemessener Beliebtheit überschreiten die Gehälter oft die Zehn- und Hunderttausenden, denn diese Werbemethode ist besonders wirksam. Gerade jüngere Generationen vertrauen eher einem erfolgreichen Youtuber, der mit Videoblogs und Instagram-Stories die Illusion von Nahbarkeit erschafft, als einer unpersönlichen Werbeanzeige, die darauf ausgelegt ist, das Angebot bestmöglich darzustellen.

Ein Phänomen, das das Unwohlsein beschreibt, das entsteht, wenn wir um den fehlenden Realitätsgehalt einer künstlichen Figur wissen, unsere Wahrnehmung uns aber das Gegenteil vorspielt. Oft werden CGI-Grafiken absichtlich unrealistisch gehalten, um genau dies zu vermeiden. Der Name („unheimliches Tal“) bezieht sich auf ein Diagramm, das das Verhältnis zwischen Menschenähnlichkeit und Vertrauen/Akzeptanz zeigt und genau dort abfällt, wo Verhalten und Aussehen besonders, aber nicht vollkommen menschlich wirken. Dem Diagramm nach wächst das Vertrauen wieder, sobald die Menschenähnlichkeit vollkommen (oder nahezu vollkommen) ist. Neuere Theorien sprechen eher von einer „Uncanny Cliff“, einer Klippe , bei der dies nicht der Fall ist.

Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019
Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019

Gruselig oder genial?

Wieso so ein elaborierter PR-Stunt? Die Antwort liegt nahe: Influencer gewinnen an Bedeutung im Marketing. Ein individueller Charakter und vermeintlich authentisch aufbereitete Inhalte verkaufen Produkte besser als groß aufgezogene Werbung, der viele kein Vertrauen schenken. Damals sendete das Geständnis Schockwellen durch die sozialen Medien. User waren fasziniert von Miquela, sodass ihr Account rapide wuchs – und damit auch ihre Reichweite.

Vor allem aber lässt sich das Modell ganz nach den eigenen Wünschen steuern. Ihre Eltern sind nämlich die Entwickler der Firma Brud. Und eine Influencerin, die keine eigenen Gedanken, kein Moralsystem und keine Forderungen hat, tut ausschließlich das, was sie soll. Während Brud sicherlich darauf achtet, dass Miquela nicht aus ihrer Rolle fällt und ein einheitliches Image ausstrahlt, bilden die Faszination, die sie auf Menschen ausübt, und die Kontrolle, die sie über sie haben, zweifelsfrei einen starken Vorteil.

Visionär oder verrückt?

Noch heute verwirrt ihr Anblick viele Instagram-Nutzer. Ob sich digitale Influencer durchsetzen werden oder das Phänomen mit der Beliebtheit Miquelas aussterben wird, ist abzusehen. Selbst Brud scheint sich unsicher zu sein. Miquela stellte in einem Interview mit Samsung fest:

„Ich habe mich selbst nie als Influencerin betrachtet. Ich denke, wenn ich Menschen wirklich beeinflusse, dann deshalb, weil sie sehen können, dass ich genau wie sie selbst noch mitten in der Selbstfindung stecke. Ich habe nicht alle Antworten; ich versuche lediglich, offen und ehrlich zu zeigen, dass ich noch dabei bin, mich zu entwickeln. Ich glaube, das kennt jeder.“

Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019
Foto: Instagram, @lilmiquela, 2019

Umsetzbar oder unmöglich?

Natürlich muss sich nun nicht jeder einen eigenen Influencer programmieren – zu teuer und zu umständlich. Was also kann der Otto-Normal-Unternehmer nun daraus lernen?

  1. Influencer per se sind in der heutigen Marketingwelt unumgehbar. Wenn Sie kein Produkt zu bewerben haben, dann ein Image. Oder Sie wollen Azubis anwerben. Oder Sie sind out.
  2. Shock Value – wer potentielle Kunden überrascht oder sogar (positiv) schockiert, hat den ersten Schritt in Richtung „Gutes Marketing“ getan.
  3. Die Technologie schreitet voran und das Marketing läuft mit. Einen Schritt voraus zu sein, hat noch niemandem geschadet…

Hier geht es zu Miquelas Instagram-Account:

Hier könnt ihr euch eines von Miquelas Musikvideos ansehen: